Denn sie wissen nicht, was sie tun

Mein Leben als „nasse“ Alkoholikerin: neun Jahre, vier Monate und zwölf Tage

Belinda Stern mit Annette Piechutta, Erfahrungsbericht, AAVAA Verlag, ISBN 978-3-8459-1339-1, 215 Seiten, EUR 11,95

1. Klappentext

Belinda Stern ist siebenunddreißig Jahre alt, als sie aus einer Verzweiflung heraus drei Gläser Wein auf ex trinkt. Die wohltuende Wärme im Bauch überrascht sie, wie auch die plötzliche Linderung ihres Schmerzes über den Verlust eines innig geliebten Menschen. Ist Alkohol das Allheilmittel gegen seelischen Kummer? Sie hätte diese Frage sofort verneinen müssen, denn ihr Vater war Alkoholiker, und ihr Ehemann Eric ist es ebenfalls, auch wenn er sich nicht dazu bekennt. Sie selbst hatte Alkohol bisher entsagt, er schmeckte ihr einfach nicht.
Trotzdem wird Trinken für Belinda bald zur Selbstverständlichkeit. Bis sie sich irgendwann fragt, ob dieses regelmäßige „Gedankenauslöschen“ wirklich gut für sie ist. Ihre zahlreichen Bemühungen, wieder vom Alk loszukommen, scheitern – genauso wie ihre Ehe. Als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern wird sie zu einer funktionierenden Alkoholikerin, die es sowohl beruflich als auch zu Hause versteht, die Fassade zu wahren, auch wenn sie das eine unvorstellbare Kraft kostet. Erst als sie nach vielen Jahren exzessiven Trinkens psychisch und physisch völlig am Ende ist, scheint es Hilfe für sie zu geben. Doch zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegen Hürden, die kaum zu bewältigen sind.

Mit schonungsloser Offenheit erzählt Belinda Stern von ihrer Alkoholsucht. So entstand ein ergreifendes Buch, das zeigt, dass sich niemand für seine Alkoholkrankheit schämen muss und es jeden in jedem Alter treffen kann.

2. Die Autorin

Belinda Marga Stern (Pseudonym), 1965 geboren, ist gelernte Speditionskauffrau* und arbeitet als Bereichsleiterin in einer internationalen Spedition. Sie lebt mit ihrem Mann Maik und den Kindern in Nürnberg.

* seit 2004 lautet die Berufsbezeichnung in Deutschland: Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistungen

3. Das Ziel des Buches

Das Ziel des Buches ist zu zeigen, dass sich niemand für seine Alkoholkrankheit schämen muss, sie kann jeden in jedem Alter treffen. Gerade bei Frauen nimmt das Alkoholproblem zu, ohne dass es für Außenstehende erkennbar ist. Sie funktionieren, kommen – auch wenn es oft ein Gewaltakt ist – ihren Pflichten nach, und integrieren ihr Trinkverhalten unauffällig in das Bild einer beruflich erfolgreichen Frau und liebevollen Mutter. Man könnte auch sagen, sie führen ein Doppelleben: Das Glas Sekt in der Runde ist für die Öffentlichkeit, die vielen im Verborgenen geleerten Flaschen ein heimlicher Albtraum.
Das Buch zeigt auch, dass es Hilfe von außen gibt, der Erfolg aber letztendlich vom Alkoholkranken selbst abhängt. Denn es gilt, die Wahrnehmung für den Alkohol zu verändern.

Im Anhang Tipps für Betroffene und deren Angehörige mit Adressen, wo man sich hinwenden kann.

4. Prolog

In Deutschland gibt es mehr als 4,3 Millionen Alkoholkranke, davon sind ca. dreißig Prozent Frauen, Tendenz steigend. Während Männer oft schon in frühen Jahren ein exzessives Trinkverhalten zeigen, beginnen Frauen meist erst in mittleren Jahren, regelmäßig zu trinken. So wie ich. Ich war siebenunddreißig Jahre alt, als ich aus Kummer drei Gläser Wein auf ex trank. Der Beginn einer Alkoholkarriere, die neun Jahre, vier Monate und zwölf Tage dauern sollte. Wie viele späte Alkoholkranke empfand ich zunächst eine befriedigende Erleichterung, schließlich hatte ich wegen konkreter Probleme zu trinken begonnen. Doch bald war ich der inneren Stimme in mir, die nach mehr Alkohol schrie, verfallen, und mein tägliches Pensum erhöhte sich dramatisch.

Ich suchte zunächst Hilfe bei den Anonymen Alkoholikern. Die lokalen Gruppen mit ihrem Zwölf-Schritte-Programm hin zur Abstinenz sind für viele Menschen hilfreich. Wenn ich auf Dauer nicht die Unterstützung fand, die ich brauchte, dann sind das meine ganz persönlichen Erfahrungen und sollten nicht verallgemeinert werden. Und natürlich sind auch meine Erlebnisse mit der Droge Alkohol individuell. Jeder, der regelmäßig trinkt oder getrunken hat, wird die Phasen von Verlangen, Zwang und körperlichen Entzugserscheinungen anders empfinden.

Wie ich vom Alkohol loskam? Das ist eine längere Geschichte, die ich in den nachfolgenden Kapiteln erzählen werde. Doch gilt es grundsätzlich, Denkblockaden abzubauen und die Wahrnehmung für den Alkoholkonsum zu verändern. Anders gesagt: Ich muss mich fragen, warum ich wirklich trinke, aber vor allem, warum ich jetzt damit aufhören will. Am Ende spielt es keine Rolle, wie es jemand schafft. Nur das Ergebnis zählt.

5. Lesermeinungen

Ein Blick in den Abgrund
Eine Frau mitten unter uns. Sie funktioniert: im Beruf, als Mutter, als Ehefrau. Niemand ahnt, dass sie mit dem Tod flirtet. Ihn jeden Abend als Liebhaber empfängt. Ein anspruchsvoller Liebhaber, er verlangt Einfallsreichtum, zwingt die Frau, ihren Mann und ihre Tochter zu belügen, immer wieder Ausreden zu erfinden. Einer, der immer mehr will, für die wenigen Stunden des Vergessens. Der Alk.
Schon nach den ersten Seiten bin ich mitten im Geschehen und der Strudel dieser Sucht lässt mich nicht los. Ich kann – fast wie die Heldin – nicht aufhören, muss lesen und lesen. Leide mit, lasse mich immer wieder verblüffen. Viele Krimis, die ich in der letzten Zeit in der Hand hatte, besaßen weniger Spannungspotenzial.
Wundervoll geschrieben, ein Buch nicht nur für Betroffene und ihre Angehörigen, sondern auch für dich und mich – zum Nachdenken über unseren Umgang mit dem Ich.

Keine Angst vor einem Buch zum Thema Alkohol
Ich bekam das Buch als Vorabexemplar. Zuerst dachte ich: Hm, ein Buch über Alkoholprobleme, ob dich das wirklich interessiert? Es hat mich interessiert und mehr als das! Es zeigt in beeindruckender Weise die Alkoholproblematik der unterschiedlichsten Menschen auf. Denn nicht nur die Autorin war dem Dämon Alkohol erlegen, sondern auch ihr Vater, der erste und zweite Ehemann, eine Cousine sowie die verstorbene Frau ihres jetzigen Lebensgefährten. Kaum jemand bekannte sich zu seiner Alkoholsucht, hatte aber gute Gründe für den regen Alkoholkonsum parat. Zufälle? Wohl nicht. Eher ein gesellschaftliches Problem und für mich ein Hinweis, mit wachen Augen durchs Leben zu gehen. Wie ist das Trinkverhalten der Freunde in geselliger Runde? Hat der eine oder andere vorher schon mal tüchtig eingeheizt. Und wie viel nimmt er danach noch zu sich, heimlich? Warum trinkt Freundin X frühmorgens schon Sekt, nur um den Kreislauf anzuregen? Und die Bierflaschen von Freund Y in seinem Rucksack während der Wandertouren …
In dem Erfahrungsbericht geht es um das Thema Alkohol, das in einer sehr dichten und schönen Sprache aufgearbeitet wird. Der Text besticht durch seine Intensität. Er liest sich gut und berührt. Auch, weil neben den bewussten Wiederholungen des Trinkverhaltens, dieser erschütternden Exzesse, immer wieder familiäre Episoden eingebaut werden, die den Leser unwillkürlich fesseln. Ich schreibe selten Rezensionen. Der Anreiz, es wie in diesem Fall trotzdem zu tun, ist für mich die Motivation zu sagen: Leute, ihr müsst kein Alkoholiker sein, um euch mit dem Thema Alkohol zu befassen. Lasst euch einfach mal auf eine außergewöhnliche und gut zu lesende Geschichte ein. Ich denke, das war auch die Absicht der Autorin, denn sonst hätte sie sich keine Co-Autorin zur Unterstützung genommen.
In Teamarbeit ist ein fesselndes Buch entstanden, das es Wert ist, gelesen zu werden. Und das nach meinem Empfinden zum Nachdenken anregen sollte. Wie viel trinke ich selbst? Täglich zwei Gläser Bier oder Wein, drei, mehr? Klar, in geselliger Runde blüht man schon mal auf – und wie langweilig, wenn sich einer ausschließt. Doch Alkohol macht müde und je nach dem, wie viel ich trinke, auch aggressiv. Er nimmt keine Probleme. Ganz im Gegenteil. Durch das regelmäßige Trinken bekomme ich noch ein Problem dazu!
Wer beim Lesen der Geschichte erkennt, dass er zu übermäßigem Alkoholkonsum neigt, findet im Anhang Tipps, wo es Hilfe gibt. Beeindruckend finde ich allerdings, wie die Autorin selbst vom Alkohol weg kam. Kaum zu glauben, aber die Art und Weise, die Problematik anzugehen, scheint zu funktionieren.

Sehr gutes Buch. Absolut empfehlenswert!
Dieses Buch hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt! Oft habe ich beim Lesen staunend und ungläubig die eigenen Verhaltensmuster entdeckt. Das ist es also, was der Alkohol aus uns Konsumenten macht. Nicht nur aus dir, das ist die allgemeine Wirkungsweise der Droge, wie ein perfider Plan, so habe ich gedacht. Und wir tappen alle in die Falle, ahnungslos und so naiv! Zu diesem Buch habe ich noch „Cool ohne Alk“ gelesen und zum Schluss das Buch von Allen Carr „Endlich ohne Alkohol“. Seit einigen Wochen trinke ich nichts mehr, ohne irgendwelche inneren Kämpfe ausfechten zu müssen. Von „jeden Tag blau“ zu „jeden Tag ohne Alkohol“, einfach so. Die Autorin dieses Buches hat dazu einen großen Beitrag geleistet, ich bin unendlich dankbar! Absolute Empfehlung!

Ein Buch, das mich sehr betroffen macht
Dies ist ein Buch, das mich sehr betroffen macht! Zum ersten Mal im Leben konnte ich hautnah miterleben, wie es sich wohl anfühlen muss, wenn man nasser Alkoholiker ist. Der Alltag, die Beschaffungsprobleme, die Geheimhaltung vor Arbeitskollegen und Familie. Es wird alles genau beschrieben. Es ist ein sehr fesselndes Buch, das man nicht aus der Hand legen kann, bis man es ausgelesen hat. Es hat mich sehr zum Nachdenken gebracht und auch dazu, mein eigenes Trinkverhalten zu überdenken. Macht ein halbes Glas Wein am Abend abhängig? Ich denke, in irgendeiner Weise schon. Alkohol ist gefährlich, das macht einem dieses Buch eindringlich bewusst.
Ein großes Lob an Belinda. So schonungslos ehrlich, wie sie ist, das muss einer erst mal nachmachen! Sie geht den unangenehmen Wahrheiten nicht aus dem Weg, sie beschönigt nichts, sie verschlimmert nichts. Sie ist einfach nur ehrlich! Ich muss sie für ihren Mut, an die Öffentlichkeit zu gehen, bewundern! Damit wird sie vermutlich einige Menschen vor dem Alkoholismus retten, denn sie bringt den Leser zum Nachdenken! (…)